Die Versorgung von Patient:innen mit Diabetes mellitus, insbesondere mit Typ 2 Diabetes mellitus, stellt eine zentrale Aufgabe der hausärztlichen Praxis dar. Patientenschulungen für Personen mit Typ 2 Diabetes mellitus (DSME) sind ein zentraler Bestandteil der Behandlung.
Die AG Diabetes beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Effekten von DSME in der hausärztlichen Routineversorgung. Wir konnten zeigen, dass Personen, die an einer DSME teilgenommen haben, auch unter den Bedingungen der Routineversorgung einen signifikant gesünderen Lebensstil aufwiesen, d.h. mehr Ausdauersport trieben und häufiger ehemalige Raucher:innen waren.
Überdies konnten sie besser ihre Erkrankung selbst managen und waren besser über ihre Erkrankung informiert. Personen mit Diabetes mellitus die nicht an der DSME teilnahmen, nahmen auch seltener an den Diabetes-spezifischen sekundären Vorsorgeuntersuchungen unter den Bedingungen der Routineversorgung teil.
Die meisten Menschen mit Diabetes mellitus, die eine DSME ablehnten, taten dies weil sie unzureichend über die Möglichkeit einer DSME informiert waren. Hausärzte sind zentral in der Informationsübermittelung an Patienten mit Diabetes mellitus, jeder Mensch mit Diabetes sollte einmal im Leben eine Diabetesschulung angeboten bekommen.
Unsere Querschnittsuntersuchung in Hausarztpraxen in Sachsen-Anhalt erbrachte Hinweise, dass Menschen mit Diabetes über 75 Jahre 24 % von Überversorgung bedroht und zu 12 % überversorgt waren. Dies berührt eine wichtige hausärztliche Aufgabe, nämlich den Schutz vor Überversorgung, etwa durch zu viel Diagnostik, Kontrollen oder Medikation.
Delegation von ärztlichen Leistungen
Angesichts des steigenden Versorgungsbedarfes und des zunehmenden Fachkräftemangels gewinnt die Delegation ärztlicher Leistungen an Gesundheitsfachberufe in der Hausarztpraxis z.B. an MFA (Medizinische Fachangestellte), VERAH (Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis) oder NäPa (Nicht-ärztliche Praxisassistentinnen) zunehmend an Bedeutung. In anderen Ländern ist es üblich, dass Gesundheitsfachberufe in der Hausarztpraxis auch Patientensprechstunden und Dosisveränderungen von Dauermedikamenten durchführen dürfen. Wären hierfür auch in Deutschland eine Offenheit bei Patient:innen, der Allgemeinbevölkerung, MFA, VERAH, NäPA und zukünftigen sowie praktisch tätigen Hausärztinnen und Hausärzten vorhanden? Diese Fragestellungen untersuchten wir in zwei von der Stiftung Perspektive Hausärztinnen und Hausärzte geförderten Forschungsprojekten. Eine qualitative Befragung zeigte ein breites Meinungsspektrum mit grundsätzlicher Offenheit für verschiedene Konsultationsanlässe (z.B. Versorgung i.R. des DMP Diabetes, Bluthochdruckbehandlung sowie für saisonale akute Infekte)
Forschungsprojekte
Auf die Patientenversorgung in der Hausarztpraxis in Deutschland kommen große Herausforderungen zu: Der demographische Wandel mit einer alternden und multimorbiden Bevölkerung sowie der Mangel an Hausärzten und Hausärztinnen. Es bedarf daher einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Lösungsansätzen zur Begegnung des drohenden Versorgungsproblems. Einer dieser Lösungsansätze könnte die Delegation von vorher ärztlichen Aufgaben an nicht-ärztliche Gesundheitsfachberufe in der Hausarztpraxis sein. Zu diesen Gesundheitsfachberufen zählen wir medizinische Fachangestellte, Krankenpfleger/-innen, Versorgungsassistent/-innen (VERAH) und Nicht-ärztliche Praxisassistenten/-innen (NäPa) in der Hausarztpraxis und Physician Assistants. Wir kürzen diese im Weiteren mit dem Begriff „MFA+“ ab. International ist es üblich, dass Pendants zu den MFA+ in den Hausarztpraxen z.B. in Dänemark oder Finnland eigenständig Patientensprechstunden durchführen und Dauermedikamente bei chronisch kranken Menschen in der Dosis anpassen.
Wäre die deutsche Bevölkerung, MFA+ und Hausärztinnen/Hausärzte in Deutschland für dieses Konzept ebenfalls offen? Unsere Studie möchte daher erforschen, wie die Akzeptanz einer Patientensprechstunde und Dosisveränderung von Dauermedikamenten durch MFA+ bei Personen der Allgemeinbevölkerung, Hausärzten/-innen und MFA+ im hausärztlichen Bereich ist.
Wir führen eine Querschnitts-Befragungsstudie durch. Wir befragen Personen aus der Allgemeinbevölkerung, niedergelassene Hausärztinnen/ Hausärzte, sowie MFA+ zu ihrer persönlichen Einstellung zur Delegation ärztlicher Aufgaben in der Hausarztpraxis.
Die Befragung erfolgt mit einem selbst-entwickelten und vorab getesteten Fragebogen. Wir stellen Fragen zur Meinung zur Delegation von Patientensprechstunden und Dosisveränderungen von Dauermedikamenten an MFA+, zu akzeptablen Erkrankungen für die MFA+ die Versorgung übernehmen könnten und zu notwendigen Rahmenbedingungen. Die Befragung der Allgemeinbevölkerung erfolgt online über das HeReCa Studie( Health Related Beliefs and Health Care Experiences in Germany.) Die HeReCa Studie ist eine Befragung der Bevölkerung zu gesundheitsbezogenen Meinungen und zu Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung in Deutschland (https://www.umh.de/hereca). Es nehmen über 18jährige Menschen der Allgemeinbevölkerung in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und Berlin teil. Die Befragung der Hausärzte/-innen und MFA+ erfolgt teils postalisch, teils online und wird in Sachsen-Anhalt mittels eines selbstentwickelten und vorgetesteten Fragebogens durchgeführt.
Bei Interesse an unserer Studie kontaktieren Sie bitte:
Dr. Solveig Weise, Studienleitung
solveig.weise@uk-halle.de
Finanzielle Förderer der Studie: Stiftung Perspektive Hausarzt
Die allgemeinmedizinische Breitenversorgung in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Hausärztemangel* in ländlichen Gebieten, Bevölkerungsalterung und die Zunahme chronischer Erkrankungen. In den letzten Jahren hat daher die Delegation/Substitution ärztlicher Tätigkeiten an nicht-ärztliches Praxispersonal an Bedeutung gewonnen. Trotzdem ist die Delegation/Substitution hausärztlicher Leistungen in Deutschland im internationalen Vergleich noch sehr gering ausgeprägt. International ist es durchaus üblich, dass z.B. speziell geschulte Praxismitarbeiter („nurses") Patienten mit chronischen Erkrankungen (z.B. arterielle Hypertonie) in einer eigenen Sprechstunde in der Hausarztpraxis mit betreuen. Dies schließt auch Dosisänderungen von Dau-ermedikamenten ein. Dem Hausarzt verbleibt mehr Zeit für mehrfacherkrankte Patienten oder Menschen in komplexen sozialen Situationen. Formal ist auch hier eine ärztliche Anleitung und ärztliche Supervision der „nurses" notwendig. Die Qualität der nicht-ärztlichen Patientenversorgung ist der „rein" ärztlichen Versorgung nicht unterlegen. In Teilbereichen wie der Bluthochdrucktherapie ist sogar eine bessere Hypertoniekontrolle berichtet. Berichte aus der Praxis in Deutschland lassen vermuten, dass sich nicht-ärztlichen Praxisangestellte und Hausärzte erweiterte Kompetenzen für nicht-ärztliche Praxisangestellte in o.g. Bereichen vorstellen kön¬nen. Es fehlt jedoch eine wissenschaftliche Analyse der Sichtweisen zur Integration von nicht-ärztlichen Praxis-mitarbeitern in Pharmakotherapieentscheidungen und Patientenkonsultation sowie Qualifikations- und Super-visionsanforderungen in Deutschland. Diese Lücke will das aktuelle Projekt schließen. Forschungsfragen: Welches Potential sehen niedergelassene HÄ, Ärzte in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin (ÄiW), Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH), Medizinische Fachangestellte (MFA), Nicht¬ärztliche Praxisassistenten (NäPa) und Patienten in einer Dosisadaptation von Dauermedikamenten und einer selbstständig durchgeführte Patientenkonsultationen durch nicht-ärztlichen Praxismitarbeiter in Deutschland? Welche qualifikatorischen und organisationalen Rahmenbedingungen wären hierfür notwendig? Welche Risiken und Chancen sehen die o.g. Akteure bei einer stärkeren Einbindung nicht-ärztlicher Praxismitarbeiter bei der Dosisadaptation von Dauermedikamenten bzw. eine selbstständig durchgeführte Pati-entenkonsultation/Sprechstunde? Methodik: Exploratives, qualitatives Studiendesign mit 90-minütigen Fokusgruppendiskussionen. Diese erfolgen mit jeweils nur einem der drei folgenden Gesundheitsakteur: I) Hausärzte/-innen, Ärzte/-innen in Weiterbildung, II) nichtärztlichen Praxismitarbeitern wie medizinischen Fachangestellte/n, Versorgungsassistent/in in der Hausarztpraxis (VERAH), Nicht-ärztliche Praxisanassistentin III) Patienten/-innen mit mind. 1ner chronischer Erkrankung wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus. Pro Gruppe sind zwei Fokusgruppensitzungen mit ca. 8¬10 Teilnehmenden geplant. Sollte eine inhaltliche Sättigung danach nicht erreicht sein, wird je Akteur maximal eine weitere Fokusgruppe durchgeführt. Erwartete Ergebnisse: Wir erwarten, dass die Studie einen aussagekräftigen Überblick bietet über die Bandbreite der Haltung und Sichtweisen der unterschiedlichen Akteure in der Allgemeinmedizin zu einer Dosisände-rung von Dauermedikamenten durch nicht-ärztliche Praxisangestellte und deren eigenständige Patientenkonsultation. Diese Resultate werden zusammen mit den Erkenntnissen über Chancen und Barrieren bezüglich der Projektfragestellung die Grundlage für ein Anschlussprojekt legen.
Laufzeit: 23.03.2020 bis 31.10.2022
Förderer: Stiftung Perspektive Hausarzt
Projektleitung: Dr. Solveig Weise
Publikationen der AG
Carmienke S, Fink A, Baumert J, Heidemann C, Du Y, Frese T, Heise M: Participation in structured diabetes self-management education programs and its associations with self-management behavior – a nationwide population-based study, Patient Education and Counselling 2021
doi: 10.1016/j.pec.2021.07.017
Heise M, Fink A, Baumert J, Heidemann C, Du Y, Frese T, Carmienke S: Patterns and associated factors of diabetes self-management: Results of a latent class analysis in a German population-based study, PloS One 2021; 16: e0248992. doi: 10.1371/journal.pone.0248992
Heise, M, Heidemann C, Baumert J, Du Y, Frese T, Avetisyan M, Weise S: Structured diabetes self-management education and its association with perceived diabetes knowledge, information, and disease distress: Results of a nationwide population-based study. Primary Care Diabetes 2022;16: 387-394
doi: 10.1016/j.pcd.2022.03.016
Weise S, Du Y, Heidemann C, Baumert J, Frese T, Heise M: Diabetes self-management education programs: Results from a nationwide population-based study on characteristics of participants, rating of programs and reasons for non-participation. PLoS ONE 19(9): e0310338. 2024
doi: 10.1371/journal.pone.0310338
Weise S, Oelschläger C, Unverzagt S, Abendroth J, Heise M, Frese T: Treatment of older patients with diabetes mellitus: Cross-sectional study in general practice. European Journal of General Practice 2025
doi: 10.1080/13814788.2024.2447723
Weise S, Steybe, T, Thiel C, Frese, T: Perspectives of general practitioners and practice nurses on nurse-led patient consultations and dose changes of long-term medications – results of a focus group study. Family Pratice, cmae 072,
doi: 10.1093/fampra/cmae072/7920057